Wer ist Gustave Courbet?


(1819 - 1877)

Das Erscheinen von Gustave Courbet in der französischen Künstlerszene sprengt die jahrhundertealten Prinzipien der Malerei. Im 19. Jahrhundert entfalten sich unabhängige Strömungen, die aus den Zwängen der Kunstakademie ausbrechen, wie die Romantik, der beispielsweise das Werk Das Floß der Medusa von Théodore Géricault aus dem Jahr 1819 zuzuordnen ist (Paris, Musée du Louvre). Das Bestreben, die Malerei zu erneuern, veranlasst Courbet, eine eigene Kunstrichtung zu begründen: den Realismus.

Mit seiner unüblichen Perspektive auf die Welt und die Gesellschaft überrascht er sein Leben lang sowohl Vertreter als auch Freunde der Kunstszene, und manchmal schockiert er sie sogar.

Gestern kannte niemand seinen Namen,
heute ist er in aller Munde

Castagnary, Kunstkritiker


Jugend in Ornans

Gustave Courbet wird in Ornans in eine wohlhabende Familie hineingeboren, der er sein Leben lang sehr verbunden bleibt. Davon zeugen zahlreiche Porträts der Familienmitglieder, die manchmal sogar in seine großen Kompositionen integriert sind. Mit 14 Jahren besucht er das Seminar der Stadt, wo er am innovativen Kunstunterricht von Claude-Antoine Beau teilnimmt, der seine Schüler zum Zeichnen in der freien Natur ermutigt. In diesem Rahmen entstehen seine ersten Werke, Landschaften der Franche-Comté, wie z. B. Die Brücke bei Nahin (Ornans, Musée Courbet) im Jahr 1837. Bis zur Vollendung seines 20. Lebensjahres bleibt Gustave Courbet im Département Doubs, in der Gegend, die er liebt und die ihm als Kulisse für zahlreiche Gemälde dient.

 

Gustave Courbet
Le Pont de Nahin
Vers 1837
Huile sur papier marouflé sur toile
Ornans, musée Gustave Courbet
© Musée Gustave Courbet, photo : Pierre Guenat

Erste Gehversuche in Paris

1839 zieht Gustave Courbet nach Paris, um ein Jurastudium aufzunehmen, wie es sein Vater für ihn vorgesehen hat. Doch von diesem Weg wendet er sich schnell wieder ab. Wie zahlreiche Künstler in der Ausbildung besucht er regelmäßig den Louvre, um Meisterwerke zu kopieren, wie z. B. Das Erwachen des Heiligen Hieronymus von Guercino (Ornans, Musée Courbet). Außerdem hat er in Paris Gelegenheit, die Meister der Romantik zu bewundern, wie z. B. Eugène Delacroix und seine großformatigen Gemälde, die das Zeitgeschehen spiegeln.

Wichtige Begegnungen

In der Hauptstadt baut er stabile Freundschaften zu den prägenden Intellektuellen der damaligen Zeit auf, wie z. B. zu dem Dichter Charles Baudelaire. Während der Revolution 1848, aus der die Zweite Republik hervorgeht, entdeckt Courbet die von Proudhon vertretenen Ideale. Zusammen mit Charles Baudelaire und dem Kunstkritiker Champfleury geben sie die Zeitung, Le Salut Public (Das öffentliche Wohl) heraus, in der Zeichnungen von Courbet erscheinen.

Offizielle Anerkennung

Nach mehreren Ablehnungen wird Courbet 1844 mit seinem Selbstbildnis mit schwarzem Hund erstmals zum Salon de Paris, der jährlich stattfindenden offiziellen Ausstellung der Kunstakademie zugelassen. 1848 stellt er dort etwa zehn Werke aus, und im folgenden Jahr wird das Gemälde Nach dem Abendessen in Ornans (Lille, Palais des Beaux-Arts) mit einer Medaille ausgezeichnet. Mittlerweile hat Courbet seinen Platz in der Kunstszene erobert und genießt allgemeine Anerkennung.

Nadar (Félix Tournachon dit) (1820 – 1910)
Portrait de Gustave Courbet à l’âge de 42 ans
Vers 1861
Tirage sur papier albuminé
Ornans, musée Gustave Courbet
© Musée Gustave Courbet, photo : Pierre Guenat

Der Tabubrecher

Doch das (nicht mehr erhaltene) Gemälde Die Steinklopfer aus dem Jahr 1849, sowie auf das Werk Ein Begräbnis in Ornans (Paris, Musée d’Orsay), das 1850-1851 ausgestellt wird, stoßen beim Publikum und bei den Kollegen auf Unverständnis oder sogar auf Feindseligkeit. Die Kritik bestand darin, dass er das Großformat, das üblicherweise den Motiven aus Religion, Mythologie und Geschichte vorbehalten war, für die Darstellung alltäglicher Szenen aus dem Leben des einfachen Volkes einsetzte. Diese unübliche Perspektive der Malerei löst einen Skandal aus und erschüttert die Prinzipien der Kunst in ihren Grundfesten.

„Der Pavillon des Realismus“

Trotz der Anfeindungen präsentiert Courbet regelmäßig seine Werke im Salon de Paris. Für die Ausstellung im Jahr 1855 werden über zehn seiner Gemälde zugelassen, doch Das Atelier des Künstlers (Paris, Musée d’Orsay) wird aufgrund seiner übermäßigen Dimensionen (3,61 m x 5,98 m) abgelehnt. Deshalb beschließt Courbet, seine eigene, persönliche Ausstellung zu veranstalten. Er finanziert sie selbst und nennt sie „Der Pavillon des Realismus“. Diese Entscheidung bildet einen Meilenstein in der Anfangsphase des Realismus.

Eugène Feyen
Courbet peignant dans le parc du séminaire d’Ornans
1864
Tirage moderne
Ornans, musée Gustave Courbet
© Musée Gustave Courbet, photo : Pierre Guenat

Weltruhm

Anfang der 1850er Jahre genießt Courbet weltweite Anerkennung. Er lernt Alfred Bruyas kennen, einen reichen Sammler aus Montpellier, der sein Mäzen wird und ihm die für ein produktives Schaffen erforderliche Unabhängigkeit bietet. Seine Gemälde werden in Brüssel, Berlin und Wien ausgestellt. Nun bereichert er seine Malerei mit neuen Motiven, wie z. B. mit Jagdszenen, wovon das Gemälde Hirschjagd im Winter zeugt (1867, Besançon, Museum für Bildenden Kunst und Archäologie), sowie mit Aktdarstellungen, wie z. B. Der Schlaf (1866, Paris, Petit-Palais).

Ein fester Platz in der Kunstszene

Er unternimmt viele Reisen, sowohl innerhalb Frankreichs als auch ins Ausland. Neben seinen sehr regelmäßigen Besuchen in Ornans, dem Ort, dem er so sehr verbunden bleibt, dass er sich dort ab 1858 ein Atelier bauen lässt, hält er sich mehrmals in der Normandie auf, wo er an der Seite von Eugène Boudin und Claude Monet arbeitet.

Mittlerweile hat sich Courbet in der Kunstszene fest etabliert, und er baut sich einen Kreis aus Unterstützern, Sammlern und treuen Anhängern auf. Dennoch rüttelt er weiterhin an religiösen Moralvorstellungen und Traditionen, z. B. mit Venus und Psyche (1864, nicht mehr erhalten), das wegen seiner Anstößigkeit vom Salon abgelehnt wird. Zur selben Zeit entsteht Der Ursprung der Welt (1866, Paris, Musée d’Orsay) auf Bestellung eines türkischen Diplomaten, Khalil Bey. Das Gemälde bleibt der breiten Öffentlichkeit bis 1995 verborgen.

Etienne Carjat (1828 – 1906)
Portrait de Gustave Courbet à l’âge de 41 ans
1861
Tirage sur papier albuminé
Ornans, musée Gustave Courbet
© Musée Gustave Courbet, photo : Pierre Guenat

Politisches Engagement

Schon sehr früh vertrat Courbet republikanische Ideen, doch erst während der Ereignisse der Pariser Kommune 1871 wird er politisch aktiv. Infolge der Niederlage von 1870 gegen Preußen beschließen die Pariser die Einsetzung einer freien Pariser Kommune, die von der französischen Regierung unabhängig ist. In diesem Rahmen wird Courbet zum Stadtrat gewählt und zugleich zum Präsidenten des Künstlerverbands, was einem Kulturminister entspricht.

Inhaftierung

Seine Beteiligung an der Kommune sowie der ungerechtfertigte Vorwurf der Mitwirkung an der Zerstörung der Colonne Vendôme führen 1871 zu seiner Inhaftierung. Selbst im Strafvollzug hört er nicht auf zu malen. Dort entstehen insbesondere Stillleben, wie z. B. Stillleben mit Blumen (1871, Ornans, Musée Courbet), und in dem ergreifenden Selbstbildnis im Gefängnis Sainte-Pélagie verewigt er sich selbst (1872, Ornans, Musée Courbet). Nach dieser ersten Verurteilung wird ihm 1873 eine Geldbuße zur Finanzierung der Wiederherstellung der Colonne Vendôme auferlegt. Da er diese nicht bezahlen kann, muss er mit einer erneuten Inhaftierung rechnen.

 

Gustave Courbet
Autoportrait à Sainte-Pélagie
Vers 1872

Huile sur toile
Ornans, musée Gustave Courbet, dépôt de la Ville d’Ornans
© Musée Gustave Courbet, photo : Pierre Guenat

Exil und Krankheit

Um dieser Strafe zu entkommen, wählt er das Exil in der Schweiz, wo er die letzten Jahre seines Lebens verbringt. Obwohl er krank und erschöpft ist, malt er überwältigende Landschaftsbilder, um seine Schulden bezahlen zu können, während sein Vermögen in Frankreich beschlagnahmt wird. Außerdem pflegt er seine bildhauerische Begabung mit Werken, die sein Streben nach Freiheit versinnbildlichen, wie z. B. Dame à la Mouette (Dame mit Möwe (1876, Ornans, Musée Courbet).

Bis zuletzt hofft er auf seine Begnadigung, die ihm die ersehnte Rückkehr nach Frankreich ermöglicht hätte. Schließlich stirbt er am 31. Dezember 1877 in La-Tour-de-Peilz (Schweiz).